1944 war das blutigste, das schmerzhafteste, das dramatischte Jahr in der jüngeren Geschichte Italiens.
Für die Faschisten begann es hoffnungsvoll. Der Wehrmacht war es Ende 1943 gelungen, den Vormarsch der Alliierten 90 km südlich von Rom auf der Höhe des Klosters Monte Cassino aufzuhalten, unter dessen Mauern sich eine der längsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges entwickeln sollte. Die faschistische Regierung hatte Rom jedoch schon aufgegeben und regierte im Norden vom westlichen Ufer des Gardasees aus, wo es zwischen Desenzano und Gargnano genügend Hotels und Herbergen gab, um Minister und Mätressen unterzubringen.
Neben der faschistischen gab es eine weitere Regierung, die königliche im Süden, die ebenso Rom aufgegeben und sich ins Hauptquartier der Alliierten geflüchtet hatte. Ausgangspunkt für diese verworrene Situation war die Landung der Alliierten auf Sizilien am 10.7.1943, die massive Auswirkungen auf die militärische und politische Situation im Land hatte. Ein kurzer Blick zurück ist deswegen unumgänglich, um die Ereignisse zu verstehen, die zu der Dramatik vor 80 Jahren führten.
Mit dem faschistischen Getöse, mit Mussolinis anmaßender, rassistisch gewordener Großmannssucht, war es vorbei, seitdem der Feind auf Sizilien gelandet war – Mussolinis Bund mit Hitler, sein wahnhafter Versuch, durch die Eroberung Abessiniens ein neues Imperium Romanum zu errichten, waren gescheitert. Das Königshaus und führende Köpfe der Faschistischen Partei fürchteten, mit ihm in den unausweichlichen Strudel der Abrechnung hineingezogen zu werden, die einer drohenden Eroberung Italiens folgen würde. Das Gebot der Stunde war es also, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, sich von Mussolini zu distanzieren und die Allianz mit Nazideutschland zu beenden. Der König reagierte schnell, setzte Mussolini zwei Wochen nach der Landung der Alliierten ab und ließ ihn verhaften. Der neue Regierungschef, Marschall Badoglio, ging einen Schritt weiter und verbot die faschistische Partei: der Faschismus brach nach über 20 Jahren totalitärer Herrschaft innerhalb weniger Stunden zusammen wie ein Kartenhaus.
Mussolinis überraschendes Ende sollte jedoch nur der Anfang einer Reihe politischer Kapriolen im Sommer 1943 sein, die Italien immer tiefer ins Chaos stürzten. Zwar erklärte der neue Regierungschef „la guerra continua“, aber heimlich bereiteten er und der König einen Waffenstillstand mit den Alliierten vor, der am 8.9.1943 den verdutzten Italienern verkündet wurde. Die Rache der Deutschen fürchtend desertierten der König und sein Regierungschef am Folgetag von ihren Posten in Rom und flüchteten ins Hauptquartier der Alliierten, das sich vor den Toren Neapels in Caserta befand und wo sie ihre Regierungstätigkeit fortsetzten wie schon erwähnt. Desorientiert und führungslos zeigte das italienische Heer Auflösungserscheinungen, die Soldaten taten es dem König und seinem Marschall gleich und desertierten massenhaft.
In dieser Situation, die auch heute noch in Italien als paradigmatisch für das Versagen der politischen Klasse gilt, betrat am 9.9.1943 – gleichzeitig mit der Flucht des Königs – eine neue politische Kraft die italienische Politbühne, das „Comitato di Liberazione Nazionale“, das „Nationale Befreiungskomitee“. Dieses breite antifaschistische Bündnis rief „die Italiener zum Kampf und Widerstand auf (…),
damit Italien den Platz zurückgewinnt, der dem Land im Verbund freier Nationen zusteht“ [1] wie es in der damaligen Erklärung hieß– über eine Streitmacht verfügte das Comitato jedoch nicht, der bewaffnete Widerstand musste sich erst noch entwickeln. Dem Königshaus stand das Comitato ablehnend gegenüber, war es doch ein Teil der faschistischen Welt gewesen, seitdem der König den Faschistenführer nach dem Marsch auf Rom 1922 mit der Regierungsbildung beauftragt hatte.
Nur drei Tage nach der Erklärung des Comitato di Liberazione trat eine gefährliche Wende der politischen Situation ein, denn Mussolini wurde durch eine Spezialeinheit der SS befreit und nach Deutschland gebracht. Von Hitler zurecht gestutzt kehrte der deprimierte, politikmüde und an einem Magengeschwür leidende Mussolini im Herbst nach Italien zurück – der so plötzlich kollabierte Faschismus erstarkte wieder. Mussolini wurde Regierungschef der am 23.9.1943 gegründeten Italienischen Sozialrepublik, streng überwacht von den Deutschen, die keinem Italiener mehr trauten, auch nicht Mussolini. Dass er sich von einem König hatte übertölpeln lassen, dass seine Soldaten Sizilien nicht entschlossen verteidigt sondern sich zu tausenden ergeben hatten, dass die Partei sich vom neuen Regierungschef widerstandslos hatte aus dem Spiel nehmen lassen statt zu den Waffen zu greifen, hatte bei den Rassisten in Berlin zu der Überzeugung geführt, dass die italienische Rasse zum Verrat prädisponiert war, außerstande auf eine bedrohliche Situation mannhaft zu reagieren. „Die Italiener“, notierte Goebbels in sein Tagebuch, „sind ein Zigeunervolk, dessen Schicksal es ist zu verwesen[2].“ Um die auch militärisch prekäre Lage unter Kontrolle zu bringen wurde Italien in kurzer Zeit von etwa 1 Million deutscher Soldaten besetzt, die nicht mehr lächelten unter der Sonne Arkadiens, denn sie zogen ins Land der Verräter. Sie begannen sofort, italienische Truppen zu entwaffnen, gefangen zu nehmen und in Lager im Deutschen Reich zu verfrachten. Ca 600.000 italienische Soldaten mussten dort bis zum Kriegsende unter miserablen Bedingungen ausharren.
Die Faschisten
Die Besatzung der Deutschen, das war Morgenluft für die Faschisten. Als es der Wehrmacht sogar gelungen war, die Alliierten bei Monte Cassino aufzuhalten, begann das Jahr 1944 für sie wie schon benannt: hoffnungsvoll. Sie widmeten sich einem der dringendsten Probleme, dem Aufbau einer Streitmacht. Als Supernationalisten war es den Faschisten ein Tort, dass sie nicht in der Lage waren, ihre Heimat zu verteidigen. Die Deutschen zeigten aber keinerlei Enthusiasmus bei der Vorstellung, eine neue italienische Streitmacht würde entstehen, bei der man sich wieder nicht sicher sein konnte, in welche Richtung die Soldaten im entscheidenden Moment schießen bzw in welches Gebüsch sie das Gewehr werfen und sich ergeben würden. Erst nach langem Drängen gestanden sie Mussolini zu, unter den 600.000 Internierten 4 Divisionen aufzustellen, Männer, die sich bereit erklärten, an der Seite der Soldaten zu kämpfen, die sie vor wenigen Monaten entwaffnet und interniert hatten. Bald schon bewahrheitete sich die Skepsis der Deutschen, denn als die Transportzüge durch Italien rollten sprangen die Italiener bei der ersten Gelegenheit in die Nacht und verschwanden, und nur ein unbedeutender Teil der Soldaten erreichte überhaupt die Front. Rudolfo Graziani, Mussolinis Kriegsminister, erklärte resigniert: „Sie verschwinden während der Anreise. Sie springen aus den Zügen und hauen ab. Die Carabinieri waren ein Debakel… selbst wenn sie versucht hätten die Flucht zu verhindern hätten sie es nicht geschafft [3].“
Auch der Versuch, bestimmte Jahrgänge zum Militärdienst einzuziehen, war ein Misserfolg. Zwar gab es durchaus junge Männer, die sich in den Kasernen einfanden, die noch immer an den Faschismus und seine verblasste Lichtgestalt glaubten, aber ca 60.000 einberufene Männer ließen sich von dieser Lichtgestalt nicht mehr blenden und ging zu den Partisanen in die Berge[4].
Trotz dieser Misserfolge verfügten die Faschisten über eine bedeutende Zahl bewaffneter Formationen, die hauptsächlich gegen den Widerstand aufmarschierten und einen großen Anteil an der Verrohung des Bürgerkriegs hatten, während die Deutschen primär Krieg gegen die Angreifer und in wachsendem Maß auch gegen die Partisanen führten. Im Juli 1944 verkündete der Parteisekretär Pavolini angesichts des Erstarkens des bewaffneten Widerstands die Militarisierung der Partei, was bedeutete, dass jedes Parteimitglied innerhalb einer bestimmten Altersgruppe zu militärischen Aufgaben herangezogen werden konnte. Es entstanden die Brigate Nere, die Schwarzen Brigaden. Ihr Motto: „Schön wie das Leben, schwarz wie der Tod“.


Die Ausrüstung der Brigate Nere war jedoch kümmerlich. Von den 30.000 Brigatisti trugen nur 12.000 eine Waffe. 11 Brigadekomandeure, 47 Offiziere, 1641 Brigatisti und 9 weibliche Hilfskräfte fielen im Kampf mit den Partisanen [5].
Ideologisch knüpfte Pavolini an die revolutionären Anfänge des Faschismus an, als die faschistischen Schlägergruppen mit wohlwollender Duldung des konservativen, royalistisch-nationalen Bürgertums die sich an der russischen Revolution orientierenden Linken niederknüppelten, die antinational und antiroyalistisch waren und die Weltrevolution anstrebten. Nun aber gab es niemanden mehr außerhalb des faschistischen Lagers, der sich von den Faschisten vertreten fühlte. Sie kämpften nur für sich und für die Besatzer und desavouierten sich in diesem Bündnis von Tag zu Tag mehr.
Die schon angesprochene Verrohung zeigte sich am eindringlichsten in der Errichtung der Foltergefängnisse, deren erstes schon bald nach der Flucht der königlichen Regierung von Mario Carità, einem Faschist der ersten Stunde, in Absprache mit der Polizei in Florenz gegründet wurde. Die Banda Carità brachte des Antifaschismus verdächtige Menschen in ihre Gewalt und folterte sie, die so erzielten Informationen leitete sie an die Polizei weiter. Die Folterungen der Bande waren von solch einer sadistischen Grausamkeit, dass in den faschistisch-bürgerlichen Reihen Entrüstung laut wurde, vorgetragen am prägnantesten von Giovanni Gentile, dem Philosophen und Theoretiker des Faschismus, der bald darauf am 15.4.1944 in Florenz erschossen wurde. Gentiles Mörder gehörten aber nicht zur Banda Carità wie man annehmen konnte, es waren Mitglieder der kommunistischen Stadtguerilla, die Gentile auf dem Gewissen hatten. Dass die Kommunisten nicht den Folterer sondern seinen Kritiker töteten ist irritierend, passt aber in eine von der KPI verfolgte Strategie, wie sich noch zeigen wird und die Teil der Gewaltspirale war, die das Jahr 1944 charakterisiert[6].
Die Antifaschisten
Mit dem Zusammenbruch der staatlichen und militärischen Ordnung, der Existenz von zwei Regierungen und zwei Heeren, die sich auf italienischem Boden bekämpften, mit den Zerstörungen und Opfern unter der Zivilbevölkerung wuchs in der zweiten Hälfte des Jahres 1943 die Bereitschaft zum bewaffneten Widerstand und zum Kampf für ein neues Italien, anfänglich meist getragen von Soldaten, die sich der Schmach der Entwaffnung und Internierung durch die Wehrmacht nicht aussetzen wollten.
Es kam nach dem chaotischen Waffenstillstand vom 8.9.1943 zu Kämpfen zwischen dem italienischen Heer und der Wehrmacht bei deren Versuch Rom zu besetzen, etwas mehr als 100 deutsche Soldaten und über 1000 italienische starben. Drei Wochen später brach in Neapel ein spontaner Volksaufstand gegen die deutschen Besatzer aus. Es gelang in den berühmten „Quattro giornate di Napoli“, die Wehrmacht aus der Stadt zu vertreiben – der gleichnamige Film von Nanni Loy, 1962 gedreht und auf youtube in italienischer Sprache verfügbar (https://www.youtube.com/watch?v=I79_UubcRQI), erzählt die Ereignisse in schwarz-weißer Dramatik und viel historischer Authentizität. Es vergingen jedoch Monate, bis sich ein politisch motivierter und zumindest von Teilen des Volkes unterstützter bewaffneter Widerstand formierte, der 1944 seinen Höhepunkt erreichte und 1945 seinen blutigen Abschluss fand.
Die folgende Tabelle[7] zeigt wie klein die Partisanenbewegung zunächst war, der es aber immerhin gelang, den Winter 43/44 in den Bergen zu überleben. Nach dem anfänglichen spontanen Widerstand gegen die Besatzung bildeten sich immer mehr kleine Kampfgruppen, von den Deutschen als „Banden“ tituliert, die sich den bekannten nicht-faschistischen Parteien zuordneten, die „Garibaldini“ z.B. zu den Kommunisten, die „Matteotini“ zu den Sozialisten, die „Fiamme Verdi“, die „Grünen Flammen“ zum katholischen Widerstand usw. Es gab aber auch autonom operierende Gruppen, die sich keinesfalls dem nationalen Befreiungskomitee zugehörig fühlten, das eher eine koordinierende Zentrale denn eine zentrale Kommandostelle war.

Während die Faschisten zu Beginn des Jahres ’44 aufatmen konnten, wurde es für den bewaffneten Widerstand immer bedrohlicher. Die schlecht bewaffnete und im kargen Gebirge nicht lebensfähige Resistenza hing am Tropf der Alliierten. Ohne deren Unterstützung mit Waffen, Geld und Ausrüstung würde sie das Jahr 1944 angesichts der militärischen Übermacht der beiden Gegner nicht überleben. Die Alliierten hatten allerdings ein gespaltenes Verhältnis zur Resistenza. Sie konnten sich nur schwer damit abfinden, dass die kommunistische Partei so massiv vertreten war. Zudem stellte das Nationale Befreiungskomitee politische Forderungen und wollte militärisch mitmischen und nicht nur Spionagedienste für die Alliierten leisten und den Nachschub der Deutschen stören. Schließlich kam es doch zu den ersehnten „lanci“, den Versorgungsabwürfen aus der Luft, durch die die Partisanen in den Bergen kampf- und lebensfähig blieben und in der zweiten Jahreshälfte militärisch und durch die Bildung von Partisanenrepubliken propagandistisch an Bedeutung gewannen – ich komme darauf zurück.
Die Gappisti – Freiheitskampf oder Terror
Schon 1943 war es den Kommunisten gelungen, linientreue und kaltblütige Genossen zu kleinen, sehr verdeckt in den Städten operierenden Kampfgruppen zusammenzuschließen, die Sabotage betrieben, hauptsächlich aber durch ihre Mordanschläge auf Faschisten und deutsche Besatzer auffielen. Sie nannten sich „Gruppi di azione patriottica“, üblicherweise mit der Abkürzung GAP bezeichnet, Gappisti und Gappiste, denn es gab durchaus auch Frauen in ihren Reihen, Patriotische Aktionsgruppen also, die nun nicht mehr wie die Kommunistische Partei Anfang der zwanziger Jahre für die Weltrevolution stritten sondern fürs Vaterland. Von den einen als Helden gefeiert von den anderen als Mörder verfolgt hatten auch die Gappisti einen Anteil an der Verrohung des Bürgerkrieges, denn eine ihrer Kampfformen war das Attentat und damit die Bereitschaft, Unschuldige zu töten, sie auf dem Altar des Vaterlands zu opfern für den gerechten Kampf.
Wie problematisch das Vorgehen der Gappisti war zeigt ihr folgenschweres Attentat in der Via Rasella in Rom am 23.3.1944, das noch heute nachhallt und 2024 angesichts des 80sten Jahrestags besonders im Fokus steht. Der 23.3. war mit Bedacht gewählt, war es doch der 25ste Jahrestag der Gründung des Faschismus durch Mussolini. Opfer waren jedoch nicht Faschisten sondern 33 Mitglieder des Polizeiregiments Bozen[8], die von der Bombe zerfetzt wurden, sowie eine Frau und ein Kind (und evtl. weitere Opfer, die Quellen gehen hier auseinander), Kollateralschäden der Resistenza, die die Kommunisten zunächst verschwiegen und dann wahrheitswidrig den Deutschen anlasten wollten. Dies war wahrhaftig nicht das erste Attentat auf deutsche Soldaten in Italien, aber die hohe Zahl an Opfern bedeutete eine neue Dimension auch in der zu erwartenden Reaktion. In der ersten Wut überlegten die Deutschen, das ganze Stadtviertel, in dem die Bombe explodiert war, in die Luft zu sprengen, einigten sich dann aber auf die zehnfache Zahl an italienischen Opfern, die mit ihrem Leben für das Attentat der Gappisti zahlen mussten.

Ein Großteil der über 330 Menschen, die am Tag nach dem Attentat in den Ardeatinischen Höhlen ermordet wurden, waren Antifaschisten, die aus den Gefängnissen geholt wurden, aber auch Juden, Bewohner der Via Rasella oder andere Italiener befanden sich unter den Opfern, die den Häschern zufällig über den Weg gelaufen waren. In Rossellinis „Rom, offene Stadt“, nur knapp zwei Jahre nach den Ereignissen gedreht, wird diese Situation eindringlich geschildert – in dem Film befindet sich auch ein Faschist unter den Opfern, dessen Beteuerung, auf der richtigen Seite zu stehen, nichts nutzte, denn er war Italiener und der Befehl lautete, Italiener zu erschießen.
Die Reaktionen auf das Attentat waren gespalten. Während die linken Vertreter in dem Comitato di Liberazione wie Pertini, der spätere Staatspräsident, das Attentat befürworteten, wandten sich die Konservativen angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer entsetzt ab. Das Comitato war im übrigen von den Kommunisten in den Attentatsplan nicht eingeweiht worden. Luigi Longo, damals führender Genosse der KPI, hatte schon im Januar 1944 die römischen Genossen zu mehr Aktivität angestachelt und den Boden für ein rücksichtsloses Vorgehen bereitet. Er schrieb: „Dem toten Deutschen kann man nicht zehn erschossene Geiseln gegenüberstellen, sondern man muss alle Sicherheitsmaßnahmen sehen, die der Feind ergreifen muss, die ganze Atmosphäre des Misstrauens und der Angst, die (ein Attentat) in den Reihen des Feindes erzeugt, den Kampfgeist, den diese Aktionen der Partisanen in den nationalen Massen weckt[9].“
Die Kompromisslosigkeit dieser Aussage macht deutlich, dass auch der Widerstand sich das Recht zusprach, Unbeteiligten das Leben zu nehmen. Eine große Zahl unschuldiger Opfer wurde gerne in Kauf genommen, denn das damit einher gehende Entsetzen erhöhte die Bereitschaft zum bewaffneten Widerstand – diese Logik muss man der PCI wohl unterstellen. Eine besonders nachdenklich stimmende Kritik an der PCI und ihren Gappisti kam von katholischer Seite. La Civiltá Cattolica fragte noch 10 Jahre nach dem Attentat, warum die Gappisti sich nicht gestellt hätten, als der Massenmord in den Höhlen vorbereitet wurde, um so das Leben der Unschuldigen zu retten. Tragen sie nicht eine Mitschuld an den mörderischen Folgen des Attentats? Zudem: ein Teil der Rechtfertigung Longos, nämlich durch ein Attentat den Kampfgeist der Massen zu wecken, erwies sich als Wunschtraum, denn die Römer waren etwas schlauer als die Kommunisten. Nur 90 km trennten die Stadt von der Front. Im Frühjahr 1944 wusste jeder, dass die Niederlage der Deutschen nur eine Frage der Zeit war – Ende Mai, zwei Monate nach dem Attentat, brachen die Alliierten durch und Anfang Juni 1944 war Rom befreit.
Die Partisanenrepubliken
In Folge der Niederlage der Wehrmacht bei Monte Cassino kam es zu einer erneuten Beschleunigung des Kriegsverlaufs und zu einem Aufschwung der Resistenza, die, deutlich gewachsen und besser bewaffnet, häufiger eigene Aktionen durchführte bzw gemeinsam mit den Alliierten agierte wie bei der Befreiung von Florenz. In entlegenen Tälern der Alpen und des Apennin wurden im Sommer und Herbst zahlreiche Partisanenrepubliken gegründet. Eine Welle der Euphorie ließ die Erwartung aufkommen, Weihnachten in einem vom Faschismus befreiten Italien feiern zu können.

Aber auf die Euphorie folgte im Herbst die Ernüchterung. Der Wehrmacht gelang es, die Alliierten, die nach Monte Cassino in einem halben Jahr die gesamte Mitte des Landes erobert hatten, 20 km vor Bologna in den Höhen des Apennin aufzuhalten, wo sie eine weitere Verteidigungslinie errichtet hatten, die Gotenlinie. Die Folgen waren dramatisch. Die Partisanen mussten erkennen, dass ihre Front, ihre Heimat, in diesem weltumspannenden Krieg nur ein kleiner und eher unbedeutender Kampfplatz war, denn die Alliierten zogen sogar Truppen von den Hängen des Apennin ab und ließen sie in Südfrankreich eine neue Front eröffnen, um den Vorstoß ins Deutsche Reich zu beschleunigen. Der italienische Kriegsschauplatz war nicht kriegsentscheidend, das war die Eroberung Deutschlands. Seine Bedeutung lag darin, deutsche Truppen in großer Zahl zu binden und Flugplätze zur Verfügung zu haben, von denen aus Einsätze ins Deutsche Reich geflogen werden konnten. Die Partisanen und ihr Anliegen waren daneben von geringer Bedeutung, und wenn es die Kriegslogik der Alliierten erforderte, waren sie nur Bauern auf dem Schachbrett des Krieges, dessen entscheidende Züge an anderer Stelle und ohne ihre Beteiligung geplant wurden.
Wie schon vor Monte Cassino so stagnierte auch an der Gotenlinie der Krieg ein halbes Jahr. Was für die Soldaten eine Ruhepause war, wurde für die Partisanen und ihre Republiken zu einer Frage des Überlebens. Generalfeldmarschall Kesselring, der Oberbefehlshaber der Wehrmacht, ließ die Wehrmacht koordiniert mit den faschistischen Kampfverbänden in jeweils großer Übermacht und besser bewaffnet gegen die Partisanenrepubliken vorrücken. Jede einzelne wurde innerhalb weniger Wochen zurück erobert, auch die größte Republik, die von Domodossola in der Gegend von Cortina d’Ampezzo gelegen. Sie umfasste auf 1500 qkm immerhin 32 Gemeinden mit 85.000 Bewohnern. Die Situation in Domodossola war insofern günstig, als durch das Tal eine Zugverbindung in die Schweiz verlief. Die geschlagenen Partisanen bestiegen den Zug und flohen ins Land der Eidgenossen. Die Schweiz, viel gescholten wegen ihrer Weigerung, aus dem Deutschen Reich flüchtende Juden aufzunehmen, ließ die Partisanen hinter der Grenze kampieren, wo sie die Wintermonate in Sicherheit verbrachten.
Deutsche Kriegsverbrechen
Dass deutsche Soldaten in Italien Kriegsverbrechen begangen haben, scheint auf den ersten Blick unglaubwürdig, denn beide Länder waren befreundet und ihre jeweils wichtigsten Verbündeten in einem Krieg auf Leben und Tod. In der Tat, die Kriegsverbrechen sind eine Folge des zerfallenen Bündnisses und reflektieren auf grausame Weise wie aus Gemeinsamkeit Misstrauen wird und Hass. Die Absetzung Mussolinis, der Waffenstillstand und schließlich die Kriegserklärung der königlichen Regierung an das nationalsozialistische Deutschland vom 13.10.1943 waren ein Verrat am von beiden Seiten gewollten Krieg, in dessen Verlauf die königliche Regierung plötzlich die Seiten gewechselt hatte, als die Situation für beide prekär wurde und deswegen ein stärkeres Zusammenrücken aus faschistisch – nationalsozialistischer Sicht nötig gewesen wäre. Der wachsende Widerstand der Partisanen führte zu einem Generalverdacht, der alle Italiener zu potentiellen Feinden machte. In dieser extrem angespannten Situation waren es Einheiten der aus Russland nach Italien verlegten Waffen-SS (die Panzergrenadierdivision Reichsführer – SS und die Division Hermann Göring), unmittelbar hinter der Front im tiefen Süden stationiert, die mit rücksichtsloser Härte gegen die Zivilbevölkerung agierten und deren Treiben sich wie eine Blutspur durch Italien zog. Sie waren die Initiatoren der deutschen Kriegsverbrechen. Menschen wurden ermordet, verschleppt, Häuser in Brand gesetzt. Die Gewalt, die die SS nach Italien getragen hatte, war ein wesentlicher Teil der sich summierenden Kriegsgreul 1944. Zwar gab es noch immer Landesteile, in denen deutsche Soldaten und Italiener friedlich miteinander umgingen, aber besonders nach Monte Cassino wurde die Situation immer schlimmer und es kam zur Zerstörung ganzer Dörfer und zur Ermordung der Einwohner wie z.B. in Marzabotto, eine Gemeinde nahe der Gotenlinie, in die sich viele Küstenbewohner geflüchtet hatten, um den dort zu erwartenden Kämpfen zu entgehen. Die Faschisten leisteten bei den Ermordungen logistische Unterstützung und trugen ihr Teil dazu bei, dass niemand den Tötungskommandos entkommen konnte. Befehle Hitlers und von Kesselrings zur „Bandenbekämpfung“ legitimierten das Vorgehen der Soldaten, z.B. dass prophylaktisch Geiseln genommen wurden mit der Drohung sie zu erschießen, wenn Partisanen deutsche Soldaten angreifen würden. Zudem war die Moral der deutschen Soldaten nach Monte Cassino geschwächt, Diebstähle häuften sich, Frauen wurden belästigt. In Moravias „Cesira“, in Italien als „La Ciocciara“ veröffentlicht und mit Sofia Loren verfilmt, ist die Protagonistin Zeugin dieser Veränderung. Die Fröhlichkeit der vor der Niederlage bei Monte Cassino mit dem Zug an die Front reisenden und singenden Soldaten kommentiert sie mit: „Sono mica male i tedeschi – sind doch gar nicht so übel die Deutschen“, aber nach Casino dringen Soldaten in ihr Dorf ein und entführen einen Italiener, der ihnen den Fluchtweg nach Norden zeigen soll und den sie später erschießen.
Judenverfolgung
Die Geschichte der Judenverfolgung, die leider auch zum Jahr 1944 gehört, ist komplex. War der Faschismus ursprünglich keine rassistische Bewegung, so entwickelte er in der Zeit der Faschistizierung Italiens deutlich rassistische Züge, die nach der Eroberung Abessiniens 1938 in der Verabschiedung der Rassegesetze gipfelten. Damals lebten ca 42.000 „reinrassige“ Juden (ca 58.000 inclusive der „gemischtrassigen“) in Italien, darunter auch einige prominente Faschisten, eine kleine Zahl insgesamt, vor der sich der Faschismus nicht fürchten musste. Zwar ging die Entrechtung der Juden voran, die Dimension der Verfolgung erreichte jedoch bei weitem nicht das Ausmaß der deutschen Endlösung.
Durch die Veränderungen nach dem 8.September 1943 verschlechterte sich die Situation der Juden jedoch massiv, die deutsche Herrenrasse führte jetzt das Kommando und schlug unverzüglich zu. Schon fünf Wochen später kam es am 16.10.1943, unterstützt von Organen der neuen faschistischen Regierung, zu einer großen Razzia im jüdischen Ghetto Roms, wo etwa 25% aller italienischen Juden lebten. Die Verfolgungen dauerten in der gesamten Zeit der deutschen Besatzung an. 7500 Juden wurden ermordet, die meisten in Ausschwitz, etwa 13% der 58.000, sehr viel weniger also als in vielen anderen besetzten Ländern, wo wie in Polen und im Baltikum bis zu 90% aller Juden ermordet wurden[11].
Der letzte öffentliche Auftritt Mussolinis
Der extreme Winter 44/45, die wegen der dichten Bewölkung ausbleibenden Versorgungsflüge der Alliierten und die Angriffe der Wehrmacht und der Faschisten waren eine große Bedrohung für den bewaffneten Widerstand, der sich dem Sieg schon so nahe gewähnt hatte und der nun bluten musste.
Die Faschisten hatten in diesem Jahr einen Großteil ihres Territoriums verloren, das zum Jahresende auf die Poebene und die Regionen in den Alpen begrenzt war. Sie waren mit den Deutschen in zahlreiche schwere Verbrechen verwickelt und aller Legitimation verlustig auf den Kern der faschistischen Ideologie reduziert, die Ausübung von Gewalt, die ihren Aufstieg und nun 1944 ihren Niedergang begleitete. In den unwirklichen Ruhemonaten des Winters stand die Illusion eines Wiederaufstiegs im Wettstreit mit der Angst vor dem unausweichlichen Ende und der Rache der Partisanen. In diesem Moment extremer Ambivalenz hatte Mussolini am 16.12. im Mailänder Teatro Lirico seinen letzten öffentlichen Auftritt, der in den heutigen faschistischen Reihen eine Art Kultstatus erreicht hat, was eher an der Figur Mussolini als an dem in Teilen halluzinatorischen Redetext liegen dürfte. Die Örtlichkeit an sich war die zur Ambivalenz passende Botschaft, denn 1920 hatte dort ein Kongress der bis dahin komplett erfolglosen Bewegung stattgefunden, bei dem eine Abkehr von eher linken, auf die Unterstützung durch das Proletariat zielenden Forderungen und ein Bündnis mit den reaktionären Großgrundbesitzern beschlossen wurde, gefolgt von dem kometenhaften Aufstieg des Faschismus. „Wir können aus einer hoffnungslosen Situation siegreich auferstehen!“, das war die Botschaft des Teatro Lirico, in das man auch deswegen ausweichen musste, weil die Scala durch alliierte Bomben beschädigt war.
Für die Faschisten waren die Auftritte Mussolinis wie die Apotheose eines Mannes aus dem Volk, einem Religionsstifter ähnlich. Der religiöse Charakter des Faschismus, den der italienische Historiker Emilio Gentile herausgearbeitet hat, zeigt sich schon in den drei Grundsätzen dieser Ideologie, die das Wesen des faschistischen neuen Menschen charakterisieren und die lauten: „Credere, obbediere, combattere“, also „glauben, gehorchen, kämpfen“ – am Anfang des Faschismus steht ein Glaubensakt! Die letzten Gläubigen einer zum Untergang verdammten und auf Sektenniveau geschrumpften Bewegung strömten also ins Teatro Lirico, um den Worten ihres Gurus zu lauschen, noch immer gefährlich und mordbereit. Von dem größenwahnsinnige Glanz, in dem die Reden Mussolinis einmal vom Balkon des Palazzo Venezia in Rom erstrahlt waren, leuchtete nun im Teatro Lirico nur noch das irrlichternde Flackern des Selbstbetrugs, mit dem er der schwarzen Gefolgschaft die Angst vor dem Tod zu nehmen versuchte. Auf youtube (https://www.youtube.com/watch?v=7PWiI6idjCg) sind Aufnahmen der Veranstaltung zu sehen, militärisch geordnete Massen draußen, faschistisch-frenetische Massen drinnen. Mussolini redete vom Verrat als Grund für sein Scheitern als hätte es kein Gestern gegeben, in dem er Italien in den Untergang geführt hatte, und als würde das Morgen durch die Wunderwaffen der Deutschen der Beginn des siegreichen Gegenangriffs sein. „Unser absoluter Glaube an den Sieg basiert nicht auf subjektiven oder sentimentalen Gründen sondern auf positiven und richtungsweisenden. Würden wir an unserem Sieg zweifeln“, rief der Religionsstifter seinen Gläubigen zu, „so müssten wir an der Existenz desjenigen zweifeln, der die Geschicke der Menschen mit gerechtem Sinn leitet![12]“
Nimmt man Mussolini beim Wort, dann war sein Tod 132 Tage später ein Gottesurteil und der vom Befreiungskomitee entsendete Partisan, der den durch kommunistische Widerständler festgesetzten Mussolini erschoss, der Racheengel des Herrn.
Anmerkungen:
Die in diesem Beitrag verwendeten Zahlenangaben sind in verschiedenen Quellen nicht immer identisch und deswegen mit Vorsicht zu genießen.
[1] Franco Astengo: Le scelte dell‘ 8 settembre. In: Odissea, 17.9.2018
[2] Joseph Goebbels: Diario intimo, Mondadori, Milano 1947, S. 580
[3] Giorgio Bocca: Storia dell’ Italia Partigiana, Mondadori, Milano 1995, S. 134
[4] nach wikipedia.it: Guerra civile in Italia
[5] Giorgio Pisanò: Gli ultimi in grigioverde, Milano, FPE, 1967, S. 2302
[6] ähnlich war das Vorgehen der PCI in Mailand. Am 18.12.1943 erschossen 3 gappisti Aldo Resega, als Federale in leitender Position der Mailänder faschistischen Partei tätig. Resega hatte sich wiederholt dagegen ausgesprochen, die Gewaltmethoden aus der faschistischen Revolution wieder aufleben zu lassen und z.B. Kriminelle in den Gefängnissen zum Kampf gegen die Resistenza anzuwerben. Drei gappisti erschossen ihn ohne über seine Identität informiert zu sein. „Man gab ihnen zur Belohnung ein Päckchen Zigaretten und ein Paar neue Schuhe“ schreibt Bocca (a.a.O., S 148). Resegas parteiinterner Gegenspieler, der die Gewalt der faschistischen Schlägertruppen aus den 20er Jahren organisieren wollte, wurde verschont.
[7] nach Giorgio Bocca, a.a.O.
[8] Südtirol, ursprünglich zu Österreich gehörig, wurde nach dem 1. Weltkrieg Italien zugesprochen, von den Deutschen nach dem Zerfall des Bündnisses jedoch annektiert. Streng genommen handelte es sich bei den Opfern also um zur deutschen Minderheit gehörende Italiener. Anders als von den Kommunisten behauptet waren die Opfer keine SS-Mitglieder. Als den Überlebenden am Tag nach dem Attentat angeboten wurde, sich an ihren toten Kameraden zu rächen und sich an den Erschießungen zu beteiligen lehnten sie dies mit dem Verweis auf ihren katholischen Glauben ab, der es ihnen verbiete Unschuldige zu töten ( Wikipedia.it, Stichwort „Polizeiregiment Bozen“).
[9] wikipedia.it, Stichwort „Attentato di Via Rasella”
[10] siehe http://www.1944-repubblichepartigiane.info/der
[11] nach Michele Sarfatti: Gli ebrei nell’Italia fascista, Torino, Einaudi 2000
[12] siehe http://temidistoria.altervista.org/wp-content/uploads/2015/01/Discorso-del-Lirico.pdf