Giorgia Meloni – das ist ein dorniger Rosenbusch auf den Erzählpfaden einer linken Wirklichkeitsinterpretation. Ohne Verletzungen kommt man nicht an ihr vorbei und wenn man ehrlich ist und ihre Vita als ein vom Vater verlassenes Mädchen kennt, das sich in drei Jahrzehnten durch die harte Männerwelt der Politik an die Spitze des italienischen Staates gekämpft hat, auch nicht ohne Anerkennung.
In Melonis Welt heißen die Helden nicht Ché Guevara oder John Lennon und ihr Prophet nicht Karl Marx sondern Roger Scruton. Die Lektüre ihres Buches „Io sono Giorgia“ (2022) hat mir klar gemacht, dass es nicht nötig ist, im tiefsten Afrika nach dem letzten unentdeckten Stamm zu suchen. Der Linke ist dem Rechten nicht weniger fremd und umgekehrt. Für die Rechten ist die Gender- und Diversitätsthematik z.B. so abwegig und irreführend wie der Nationalstolz und die nationale Identität für die Linken. Wechselseitige Unterstellungen, Verleumdungen und Diffamierungen sind zu unüberwindbaren Gegensätzen geworden, die an die Stelle einer lösungsorientierten Auseinandersetzung um Sachthemen getreten sind. Eine Große Koalition der Gegensätze hat es in Italien nie gegeben, das Land ist aus dem politischen Stellungskrieg nie heraus gekommen. Allein die Charakterisierung links und rechts, der sehr schnell die finale Maximalstrafe Faschist bzw Kommunist folgt, reicht aus, um einen Menschen bzw seine Äußerungen zu brandmarken als hätte er die Pest – eine politische Auseinandersetzung erfolgt dann nicht mehr.
Es gibt also viele Gründe sich das Vergnügen zu machen und diese italienische Kontroverse vorurteilsfrei zu betrachten selbst auf die Gefahr hin, zwischen allen Stühlen zu landen. Dass seit einiger Zeit im politischen Kontext nicht mehr von Wahrheit die Rede ist sondern nur noch von Erzählungen banalisiert politische Unterschiede zwar, es erleichtert aber auch, sich die Geschichten der anderen anzuhören so als würde man unverbindlich mal den einen, mal den anderen Text aus einem Sammelband politischer Stilblüten durchstöbern.
Nun also, was hat die Meloni z.B. zum Feminismus zu erzählen?
Eine blonde Römerin, eine Mutter, die in wilder Ehe mit einem Linken zusammen lebt, eine Frau aus einfachen um nicht zu sagen schwierigen Verhältnissen, die bei der Regierungsbildung die Putinfreunde Berlusconi und Salvini mit zwei gezielten politischen Tritten zwischen die Beine in die Schranken verwies, sollte bei Feministinnen eigentlich Begeisterungsstürme hervorrufen, da sie alle Merkmale einer starken, selbstbewussten Frau aufweist, die obendrein noch attraktiv, intelligent und weltoffen ist – sie spricht mehrere Sprachen fließend. Allein, sie blieben aus. Feministinnen kämpfen zwar für Frauenrechte, aber für konkrete Frauen nur dann, wenn ihre politischen Ansichten die gleichen sind. Und eine Frau, die sich bewusst als rechts und als „il presidente“, der Ministerpräsident, bezeichnet, ist keine Feministin, sie ist nur eine erfolgreiche Frau und das reicht im Feminismus nicht.
Natürlich ist Meloni gegen eine Frauenquote, die man in Italien die „quota rosa“ nennt. Sie benennt zwar sehr klar die Kompetenzen von Frauen und ihr Verdienst in der Gesellschaft, aber eine Frauenquote führe nur ins Mittelmaß, so Meloni, da Posten nicht nach Qualifikation besetzt werden sondern nach dem Geschlecht und das ist bekanntlich keine Qualifikation. „Das Problem besteht also nicht darin, wie viele Frauen Führungspositionen inne haben sondern ob sie in der Lage sind zu führen“ (a.a.O., 60). In ihren politisch rechten Kreisen liefe das so: „Egal ob du ein Mann oder eine Frau bist, was du erreichst das hast du wegen deiner Fähigkeiten erreicht… und wenn die Frauen es schaffen dann nicht als Zugeständnis eines Mannes“ (a.a.O., 55) bzw, so füge ich hinzu, durch eine Quote.
Was das Durchsetzungsvermögen in einer männerdominierten Welt angeht, so hält Meloni nichts von feministischen Gesprächskreisen. „Die Herausforderung für uns Frauen ist es, im Spiel der „Großen“ mithalten zu können und nicht, eine Parallelwelt zu errichten in der wir uns wohl fühlen, weil wir uns in unserem geschlossenen Kreis bewegen…. Und vielleicht ist eine Reaktion auf diesen Minderwertigkeitskomplex, der viele Frauen dazu bringt immer und vor allen Dingen miteinander in Wettstreit zu liegen, die, dass ich mehr Spaß daran habe, mit Männern zu wetteifern“ (a.a.O., 67).
Melonis Migrationserzählung
Aber es gibt noch mehr Dornen an denen sich nicht nur Feministinnen verhaken. Dass Meloni ihre Frauenrolle mit ihrer Mutterschaft verbindet und Frauen rät, sehr früh sich über die Endlichkeit der Fruchtbarkeit Gedanken zu machen – sie war 39, als ihre Tochter geboren wurde – mag ja noch hinzunehmen sein. Aber für sie rührt das an ein viel größeres Thema, zu dem sie und die Rechte ihre Erzählung zum besten geben und die hängt mit der dramatischen Alterung der italienischen Gesellschaft zusammen – Cecino ist dafür ein gutes Beispiel. 2020 gab es in Italien die geringste Geburtenrate seit der Staatsgründung 1861! Die Lösung dieses Problems durch die ungesteuerte Migration wie sie die bisherigen Regierungen faktisch betrieben haben, ist nicht Melonis Rezept. „Italien,“, so stellt sie fest, „hat tatsächlich zumindest momentan eine Einwanderungsquote nötig, und das hat nie irgendjemand verneint„ (a.a.O., 77). Dazu bedarf es einer steuernden Rolle des Staates, der nach den Bedürfnissen des Landes über die Einwanderung entscheidet und dabei durchaus kulturnahe Gruppen bevorzugen sollte – der Umgang mit Flüchtlingen ist davon unbenommen und durch internationales Recht geregelt, das also auch in Italien gilt. Eine geregelte Einwanderung sei aber seit Jahren nicht mehr möglich, da durch die illegale Einwanderung die Kapazitäten des Landes erschöpft seien. Deswegen gilt ihr Augenmerk ganz zentral der Bekämpfung der Schlepper. Der Staat als Steuerungsorgan der legalen Einwanderung, Umgang mit Flüchtlingen nach internationalem Recht, die Bekämpfung der Schlepper und Einwanderungszentren in Nordafrika: das ist Melonis Migrationserzählung. Ob sie ein Märchen wird oder gar eine Erfolgsgeschichte muss sich zeigen. Dass die bisherige Praxis eher die Vorlage für Schreckgeschichten liefert, kann man auch in Cecino beobachten, der Zuzug von Marokkanern z.B. ist oft vom Verfall der bewohnten Immobilie begleitet und trägt insgesamt zum Niedergang des Ortes bei.
Traurig aber wahr.
Der Faschismusvorwurf
Welche Farbe die Blüten an Melonis Rosenbusch aufweist ist eine entscheidende Frage, der sie sich nicht zufriedenstellend widmet. Ist sie doch eine verkappte Faschistin? Sie macht kein Hehl daraus, dass sie sich politisch in der Folge notorischer Leitfiguren des postfaschistischen Lagers und Mitgliedern des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano sieht, die sie affermativ aufzählt: Almirante und Rauti z.B., zu Zeiten Mussolinis wichtige Faschisten. Mussolini und den Faschismus selbst thematisiert sie gar nicht als sei damit schon klar, dass sie keine Faschistin und keine Rassistin sei. In der Tat: ihr Buch lässt eindeutig nur diesen Schluss zu und damit hat sie sich faktisch weit vom Faschismus abgesetzt. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war ein Besuch der jüdischen Gemeinde in Rom anlässlich des Lichterfestes, 80 Jahre nach den Deportationen von 1943. Ihrer konservativen Grundüberzeugung treu bleibend verbeugte sie sich vor der Stärke der Juden, die sie aus ihrer Identität ziehen und die ihnen geholfen habe, die Jahre der Verfolgung zu überstehen. Trotzdem: das Totschweigen des Faschismus ist angesichts seiner Verbrechen und der aggressiven Präsenz neofaschistischer Gewalttäter, von denen sie sich im übrigen distanziert, keine gelungene Methode.
Vielleicht fällt bei genauerer Betrachtung der Faschismusverdacht auf diejenigen zurück, die ihn äußern. Denn es besteht – um ein Beispiel aus Deutschland anzuführen – eine große Bereitschaft, einem ehemaligen linksextremen Polizistenschläger wie Joschka Fischer, damals 25 Jahre alt, die Wandlung zu einem anerkannten demokratisch gesinnten Außenminister abzunehmen. Einer Figur wie Meloni, die 15-jährig in eine neofaschistische Partei eintrat, eine Frau, von der keine Gewalttaten bekannt sind und die ihre politische Karriere in demokratischen Strukturen absolviert hat, widerfährt diese Anerkennung nicht. Dabei haben sich in den Nachkriegsjahrzehnten in Italien beide Extremlager mehrfach gehäutet und ihre militanten, auch mörderisch – terroristischen Aktivitäten abgestreift.
Das wechselseitige Misstrauen, die sehr schnell aufbrechende Hasskultur, sind geblieben und dienen beiden Lagern in schändlicher Weise dazu, den jeweiligen Gegner auf politisch-moralischem Weg anzugreifen. Bleiben die Sachargumente aus schießt man den Faschismus- oder Kommunismuspfeil ab. Der Effekt: die Politikverdrossenheit wächst, denn die Bevölkerung will Lösungen und kein Geschwätz.
Es gibt im übrigen keinen Grund anzunehmen, dass Melonis Regierung bald scheitern wird. Im Gegenteil. Die letzten Kommunalwahlen haben sie gestärkt, die Auseinandersetzung um den Benzinpreis hat sie gewonnen. Dabei ging es darum, dass Meloni die Stützung des Benzinpreises durch Steuernachlässe gegen den lauten Protest der Opposition abgeschafft hat. Die frei werdenden Beträge – 10 Milliarden jährlich – werden für Sozialprojekte verwendet. Dies, so Meloni, sei eine Politik der sozialen Verantwortung während die Benzinpreissubventionierung unsozial sei. Sie komme allen zugute unabhängig von der Bedürftigkeit und besonders den wohlhabenden Besitzern mit ihren Luxusautos, die einen hohen Bezinverbrauch haben. Und mehr noch: die Tankstellenpächter sind verpflichtet, jede Preisveränderung an eine Behörde zu melden, die die Preise tagesaktuell zur Verfügung stellt. Außerdem muss der Durchschnittspreis sichtbar an der Tankstelle ausgehängt werden, um den jeweiligen Preis besser einschätzen zu können. Wer dieser Verpflichtung nicht nachkommt muss mit Strafen rechnen.
Die permanente, fragwürdige Verortung der Meloni als Faschismus affin birgt im übrigen eine große Gefahr. Wenn ihre Regierung eine erfolgreiche Politik macht, die beim Volk ankommt, wäre das eine Aufwertung des Faschismus. Denn der Verweis auf den Faschismus impliziert, dass gute Politik von Leuten wie Meloni nicht gemacht werden kann weil es nicht sein darf. Aber das ist politisches Wunschdenken, das mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen muss, denn es gibt a priori keinen zwingenden Grund anzunehmen, dass ihre Regierung das Land zugrunde richten wird. Schließlich ist eine schlechtere Performance als die vieler italienischer Regierungen kaum möglich, da hat Meloni mit den unverbrauchten Kräften ihrer kleinen Partei durchaus eine Chance. Erfolg wird in Italien gerne an der Regierungsdauer gemessen: wer in der römischen Politarena mit ihren opernhaften Zügen länger als 18 Monate überlebt ohne gefressen zu werden ist besser als der Durchschnitt. Angesichts des enormen Verschleißes an Ministerpräsidenten kommt es dem Betrachter so vor als dürfe jeder mal in die römische Bütt auch wenn er wie der vorletzte Ministerpräsident Conte überhaupt keine politische Erfahrung hatte und nichts weiter war als ein unbekannter Juraprofessor, der ganz im Baerbockschen Stil seine Karriere etwas aufhübschte. Man sehnt in Italien unverbrauchte Kräfte herbei, die es endlich besser machen als die ewige Politikerkaste, die ihr Talent zur Selbstbereicherung und zum Geschacher um Posten einsetzte. Politische Verortungen treten dabei in den Hintergrund, neue Männer und Frauen braucht das Land.
Giorgia Meloni ist eine solche neue Kraft. Lässt man sich auf sie ein begegnet man einer politikerfahrenen, modernen Frau mit einer konservativen Grundüberzeugung, auf die letzte Schatten des Faschismus fallen. Nach Jahren linker Regierungen oder Regierungen von politikfernen Fachmännern wie Monti oder Draghi oder einem Quereinsteiger wie Conte, dessen politische Qualifikation gemäß der Establishment kritischen Grundeinstellung der „5-Sterne-Partei“ darin bestand, keine zu haben, hat sich Italien für eine rechte Regierung entschieden mit einer konservativen Frau an der Spitze.
Es hätte schlimmer kommen können – es kann sogar besser werden.