Die Gratwanderung auf dem Monte Spino – ein Trekkingerlebnis „per esperti“

Unter den Bergketten, die den Gardasee westlich begrenzen, sind die Spitzen des Monte Spino, des Dornenbergs, von weitem zu erkennen. Ein zackiger Grat heller Kalkfelsen erstreckt sich in nord-südlicher Richtung. Die imposanten Felswände sind vom Garten des Ferienhauses gut zu sehen, im Winter von Schnee gepudert, im Sommer ein prägnanter Kontrast zu den unterhalb wachsenden Wäldern. Aus der Ferne scheint es unvorstellbar, dass über diesen scharfen Grat ein Weg führen könnte. Nun, ein Weg im eigentlichen Sinne ist es auch nicht, eher ein Pfad für Bergwanderer mit Ausdauer und einer Neigung, Herausforderungen zu bestehen. Für Individualisten also wie die Liebhaber des Torre es in der Regel sind.

Der Monte Spino im Frühjahr nach leichtem Schneefall vom Garten des Ferienhauses aus gesehen.
Über den Grat führt der Weg.

Wer auf dem Grat des Monte Spino wandern will, sollte sich auf eine anstrengende Tagestour einstellen. Vom Ferienhaus startet man klugerweise am frühen Morgen, um zum Passo della Fobbiola die ca 500 Höhenmeter so lange wie möglich im Schatten aufzusteigen. Cecino grenzt an den Parco Naturale dell’Alto Garda Bresciano und dieser beginnt am Ortsrand. D.h., sobald man Cecino verlässt wird es einsam, denn der Lonely Planet hat die Spinogratwanderung noch nicht zum Geheimtipp erklärt. Der Weg führt ins Tal hinein, der majestätische Monte Spino begrenzt rechts den Blick. Nach ca 25 Min passiert man einen Pfad, der zum Buco del Tedesco führt, dem Deutschenloch. Auf diesem Pfad kommt man einige Stunden später wieder zurück.

Volkskunst auf dem Weg: Maria und ein Gebirgsjäger

Eine erste Rast bietet sich nach ca 50 Min an, wenn man einen 5-minütigen Abstecher zum Wasserfall Acqua Seta, Seidenwasser, macht. Der Zugang zu dem Wasserfall ist nach einer Holzbrücke, auf der man den Bach überquert, nicht zu verfehlen.

Steil ansteigend geht es langsam weiter, eine gute Gelegenheit ein paar Gedanken daran zu verschwenden, dass der Weg früher Via Teutonica hieß und zu einer Zeit, als es am See keine Straße gab, die in den Norden führte, eine wichtige Verbindung in die teutonisch besiedelten Gebiete war. Auch einige Kardinäle, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts zum Konzil nach Trient reisten, mögen ihn genommen haben, nachdem sie sich im Torre, damals das Pfarrhaus von Cecino,  erfrischt hatten. Das Konzil dauerte insgesamt 18 Jahre – welch ein Getue muss es auf der kleinen Piazza um die rot gekleideten Kardinäle gegeben haben!

Die Nusswiese, Prato della Noce

Die steile Passage führt vom Bach weg, der nur noch leise rauscht. Bald erreicht man ein einsames aber bewirtschaftetes Bauernhaus am Rand der Nusswiese, dem Prato della Noce, auf dem Pferde weiden und Schweine sich suhlen. Wenig später steht man am Pass. Naturfreunde haben dort und auch an weiteren Punkten Informationstafeln aufgestellt, die auf Fauna und Flora des Naturparks aufmerksam machen. Tische und Bänke laden zu einer Rast ein. Am Pass gabelt sich der Weg. Geradeaus geht, wer zur Berghütte Campei de Sima aufwärts oder nach Maderno am Gardasee abwärts wandern will. Der Weg zur Gratwanderung führt nach rechts an einer verfallenden Bastion der italienischen Streitkräfte vorbei – sie markiert die Grenze des Königreichs Italien, jenseits begann Österreich! Bis 1918 war Cecino Grenzgebiet zum mächtigen und ungeliebten nördlichen Nachbarn, der große Teile Italiens besetzt hatte und erst in den blutigen Schlachten des Risorgimento vertrieben worden war.

Im Wald geht es weiter, nun auf dem Sentiero dei Ladroni, dem Räuberpfad. Vielleicht soll der Name eine Anspielung auf die Partisanen sein, die sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in einer der Höhlen des Monte Spino versteckt hatten. Die Gruppe um Mario Boldini wurde jedoch am 14.1.1944 in ihrem Versteck gefasst und nach Gargnano gebracht. Boldini wurde gefoltert und am Ortsrand von Gargnano erschossen. Ein schlichtes Kreuz markiert heute die Stelle, wo die Faschisten ihn nachlässig verscharrt hatten. Während der aufsteigende Räuberpfad endlich aus dem Wald heraus führt und westlich den Blick frei gibt auf die Berghütte Campei, östlich auf den Monte Baldo und ein Stück Gardasee und südlich auf den endlich umrundeten Monte Spino, zeigt die Geschichte vom ermordeten Partisanen, dass neugierige Italienreisende sich schnell auf einer Gratwanderung zwischen Geschichte und Genuss befinden, denn besonders im Norden des Landes ist die faschistische Vergangenheit an vielen Stellen gegenwärtig und sollte nicht vergessen werden.

Dem nun nach Süden führenden Räuberweg folgend wird bald der Waldrand erreicht, die Sicht ist frei. Drei Dinge fesseln sofort die Aufmerksamkeit: die grandiose Fernsicht, der Blick auf die Berghütte Pirlo und die ornithologische Station „Antonio Duse“, die älteste ihrer Art in Italien, wo sich Freiwillige der Erforschung der Wandervögel widmen – in dem Blog „Von Vogeljägern und Vogelschützern“ habe ich darüber berichtet.

Da entgegen der esoterischen Weltsicht das Ziel des Wanderers keinesfalls der Weg ist sondern das Wirtshaus, kehren wir nach 10 Minuten in der Berghütte Pirlo ein, ruhen uns aus und lassen uns mit Getränken und einheimischer Küche versorgen. Samstags und sonntags ist die Hütte, in der man auch übernachten kann, bewirtschaftet. Aber zur Sicherheit sollte man vorher anrufen: 00390365651177.

Der Aufstieg war Kräfte zehrend, 750 Höhenmeter sind geschafft, aber das schlimmste – und schönste – kommt erst noch! Denn zum Grat des Spino müssen noch einmal 250 m bewältigt werden. Der Weg dahin führt vor der Hütte zunächst abwärts, bald aber deutlich ansteigend rechts hinauf auf einem Trampelpfad der Felswand entgegen.

Nach ungefähr 20 Min zweigt rechts der Weg zur Bergspitze ab, links zeigen sich spitze Felsen und Gebüsch. Die Gratwanderung beginnt.

Rote Farbstreifen auf den Kalkfelsen weisen den Weg, den es nicht mehr gibt. Dafür gibt es struppiges Gebüsch und nackte Felsen, gibt es immer mal Rätselraten wo es weiter geht und plötzlich steiles Gestein, an dem man sich festhalten muss für den nächsten Schritt. Lichtet sich das Gebüsch zeigen sich die Berge ringsum in einem atemberaubenden Panorama, das jede Mühe vergessen lässt. Plötzlich steht man vor der ersten von mehreren vegetationslosen, spitzen Felspassagen. Die roten Striche sind eindeutig: da muss man rüber!

Vorsichtig kraxelnd geht das auch, aber allzu anfällig für Absturzphantasien sollte man nicht sein. Es geht langsam weiter, gelegentlich helfen Seile schwierige Stellen zu überwinden, es ginge auch ohne. Schließlich ist das Buco del Tedesco erreicht, ein unscheinbarer Weg, der in die bewaldete Tiefe führt.

Die Beschriftung ist schon etwas verwittert, aber es bleibt dabei: für Experten!

Pause auf schmaler Fläche, die kaum Sitzgelegenheiten bietet. Am Buco bläst oft ein unangenehmer Wind, der verschwitzte Körper kühlt aus. Schneller als es den Beinen lieb ist geht es weiter, steil bergab in einem nicht enden wollenden Waldstück auf gerölligem Pfad. Immer wieder lösen sich Steine und rollen springend bergab. Schnell ist klar: der Abstieg am Ende des Tages ist die anstrengendste Strecke. Auch wenn Beine und Knie schmerzen und der Abstieg endlos scheint, unten im Tal werden wir den Weg erreichen, auf dem wir vor vielen Stunden und sehr viel frischer zur Gratwanderung aufgebrochen waren. 10 Stunden sind vergangen, dann sind wir endlich wieder im Ferienhaus.

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