Von Vogeljägern und Vogelschützern

Als wir Mitte der 80er Jahren den einsturzgefährdeten Torre im Hinterland des Gardasees kauften, hingen im Keller Käfige mit Lockvögeln, die einem der drei Hausbesitzer gehörten. Solche Käfige hingen nicht nur in zwei weiteren Häusern an der Piazza, sondern in vielen anderen Häusern der Gegend. In Italien ist die Vogeljagd staatlich reguliert und wird mit Leidenschaft betrieben. Immer wieder haben uns Nachbarn vom zarten, köstlichen Geschmack der Rotkehlchen vorgeschwärmt und mochten nicht verstehen, warum wir diese Leckerbissen verschmähten.

Im Herbst wurden die Käfige in den Wald gebracht. Aus dem dunklen Keller ans Licht geholt sangen die Vögel so laut und schön, sangen das Todeslied für neugierige Artgenossen, die herbei geflattert kamen und denen der Vogeljäger schon mit der Schrotflinte auflauerte.

Wie es in den 80er Jahren war, so ist es auch heute noch. Zwar klagen die Jäger über die nur noch kleine Zahl der zum Abschuss freigegebenen Vogelarten, über die teuren Preise, zu denen sie Lockvögel erstehen und das ganze Jahr durchfüttern und pflegen müssen, aber noch immer stehen in zahllosen Haushalten Flinten im Schrank, liegen verbotene Netze und Vogelfallen in Verstecken und warten auf den Herbst.

Neben den Jägern sind so viele Wilderer unterwegs, dass es in Italien eine eigene Polizeigruppe gibt, deren Aufgabe es ist, den Vogelschutz durchzusetzen und die Wilderei insgesamt zu bekämpfen.

20 000 Forstpolizisten sind aktiv, und man sage nicht, sie nähmen ihren Dienst nicht ernst. Besonders für die Provinz Brescia, zur der Degagna gehört, gilt das – diese Alpenregion westlich des Gardasees bildet eine Hauptroute der Wandervögel, und folglich wird aus der Provinz Brescia die höchste Zahl überführter Vogelwilderer in ganz Italien gemeldet.

Als ein Brennpunkt dieses Treibens, das zur Freischütztradition des italienischen Landmannes gehört, muss nach den Ereignissen, die sich im Herbst 2016 in der Nähe von Cecino abgespielt haben, unser idyllisches Tal angesehen werden. Denn kaum war die Jagdsaison eröffnet, entdeckten Autofahrer einen Schafskopf, der an einen Baum zwischen Cecino und Eno genagelt war, der Ortschaft, die vogelnestartig weiter oben im Tal angesiedelt ist. Unter dem Schafskopf war ein Schild befestigt mit der Aufschrift: „Farai la stessa fine, Cesare!“, was sich mit „So wirst du auch mal enden, Cesare!“, übersetzen ließe.

Es musste nicht lange herumgerätselt werden, wer mit Cesare gemeint war, heißt doch der Kommandant der Forstpolizei von Vobarno, dem Sitz der Verbandsgemeinde, zu der Degagna gehört, Cesare Scatamacchia, womit sich der Kasus dem Status der Posse nähert. Denn mit ein wenig sprachlicher Deutungsfreiheit lässt sich Scatamacchia von dem Verb scattare = (zu)schnappen und dem Nomen Macchia = Buschwald, Dickicht ableiten, womit der gute Forstpolizist –  nomen est omen – zu Cäsar Waldfänger würde.

Lachen wollte über den üblen Scherz jedoch niemand. Scatamacchia erkläre der Presse, er fühle sich durchaus bedroht, aber irgendwann würde man den Witzbold schon schnappen. Auch der Bürgemeister von Vobarno schaltete sich ein und nahm seine Bürger in Schutz: so etwas habe es in seiner Gemeinde noch nie gegeben und dies seien auch nicht die üblichen Umgangsformen seiner Leute. „Rein faktisch weiß ich aber kaum was und das auch nur vom Hörensagen“, fügte er noch schnell hinzu.

In Cecino war man sich bei den Spekulationen über die oder den Täter einig. Der Scatamacchia, hieß es, sei zwar ein kleinlicher Pedant, aber das mit dem Schafskopf ginge nun doch zu weit. Außerdem müsse es jemand von außerhalb gewesen sein, denn niemand wäre so blöde, vor der eigenen Haustür (bzw den eigenen Jagdgründen) die Forstpolizei herauszufordern.

Was hier als böse Vorahnung durchklang bewahrheitete sich in der Folgezeit. Cesare und seine Leute holten sich Verstärkung und hingen nun Tag und Nacht in den Büschen um Cecino und in der ganzen Gegend herum, wild entschlossen, sich von den Wilderern den Schneid nicht abkaufen zu lassen. Auch sie hatten sozusagen ihr Fangnetz ausgerollt, und sie hatten Erfolg. Einige Leute wurden geschnappt, die zwar alle eine Jagdlizenz besaßen aber Vogelschutzrichtlinien nicht eingehalten hatten und dadurch zu Wilderern wurden. Einer von ihnen, ein uns wohl bekannter Mann aus dem Dorf, wurde gestellt, als er oben im Naturschutzgebiet, in dem die Jagd verboten ist, seine Netze entrollte, Gewehr über der Schulter und Hund bei Fuß. Nicht ganz so friedlich ging es bei einem anderen Zwischenfall zu, als zwei Wilderer das Feuer auf die Forstpolizei eröffneten, die zurück schoss und erst nach wilder Verfolgungsjagd die Männer festnehmen konnte – diese Episode hat sich aber glücklicherweise nicht in Degagna ereignet sondern weit entfernt an einem anderen Ort der Provinz.

Singvögel, von der Forstpolizei beschlagnahmt

Aber die Geschichte über Vogeljäger hat ein versöhnliches Ende.

Wer den Torre verlässt und bergauf in den Naturpark wandert, den Bach überquert, in dem man manchmal Forellen sehen kann, wer den Pass erreicht und auf dem Sentiero dei ladroni, dem Räuberweg, den Monte Spino umrundet (eine ausführliche Beschreibung dieser Wanderung findet sich in dem Blog “Die Gratwanderung auf dem Monte Spino – ein Trekkingerlebnis “per esperti”) vorbei an Tafeln, die auf den Fund eines Braunbärenskeletts in einer nahe gelegenen Höhle hinweisen, wird nach entsprechender Zeit am Waldrand ankommen. Rechts unten sieht man die Berghütte Pirlo, die mit Pasta und Rotwein lockt, und in der Ferne die Gestade des Gardasees. Wendet man sich nach links erreicht man bald eine hübsche, stabile Holzhütte, die den Vogelschutzleuten gehört. Auf einer baumfreien Wiese, die den Pass zwischen zwei Tälern markiert, haben sie ein langes, hohes Netzt gespannt, mit dem Vögel gefangen werden, um sie zu vermessen und zu katalogisieren, bevor man sie wieder fliegen lässt. Es sei dies die erste Station dieser Art in Italien, erfuhr ich bei einem Besuch von einem freundlichen Herrn, der mit Liebe in der Stimme von den Zugvögeln sprach, von ihren einzigartigen Fähigkeiten und den Gefahren, die auf sie lauern. Stolz fügte er hinzu: „Manchmal können wir sogar Adler beobachten.“

Ein Vogelschützer. In den Säckchen befinden sich Singvögel, die beringt werden.
Ein Vogel im Netz wartet wie andere auf die Ringprozedur
Ein Vogel im Netz wartet wie andere auf die Ringprozedur
Ein Vogel im Netz wartet wie andere auf die Ringprozedur

Adler haben wir noch keine gesehen, wohl aber Mauersegler, die um den Torre fliegen, einen Dachs, der nachts hinter dem Haus rumort, Smaragdeidechsen im Garten, Siebenschläfer, die von den Weintrauben unserer Laube naschen. Und Schafe, die der Nachbar manchmal durch den Ort zu einer neuen Weide treibt, vorbei an Häusern, in deren Kellern Lockvögel gehalten werden.

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