Wer einen Bootsausflug auf dem Gardasee plant, sollte nicht unbescheiden sein und sich gleich das schönste der Schiffe aussuchen, den Raddampfer ITALIA. Wie ein unermüdlicher Bote aus einer vergangenen Zeit wird er von seinen beiden Rädern in den Hafen geschaufelt, breit, gemütlich, langsam, der letzte und – neben dem Zanardelli – prächtigste der benacensischen Salondampfer.
Als die ITALIA 1909 ihren Dienst antrat, gehörte das Nordufer des Sees noch zu Österreich-Ungarn. Die Zöllner der KuK Monarchie, beeindruckt von Italias Größe und vielleicht verärgert durch den nationalistischen Unterton ihres Namens, untersagten ihr in Riva anzulegen – die ITALIA musste sich wieder nach Süden schaufeln in italienische Gewässer.
In jenen Jahren gab es noch keine Straßenverbindung von Gargnano nach Riva. Die Gardesana, die Straße am steilen Westufer des Sees, wurde erst in der faschistischen Ära in die Felsen gesprengt. Um Campione mit seiner Textilindustrie oder das zitronenproduzierende Limone zu erreichen, musste es also eine gut funktionierende Seeverbindung geben. Auch die betuchten Touristen, die bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Gardone Riviera aus den Gardasee erkunden wollten, werden über einen schicken Raddampfer nicht traurig gewesen sein, der sie an die Felswände nördlich von Gargnano oder südlich nach Sirmione transportieren und unweit der Scaligerburg an Land gehen lassen würde, wo sie in den Ruinen der berühmten Thermen des Carcalla lustwandeln konnten.
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Sieg Italiens über Österreich-Ungarn war der See italienisch geworden. Für die ITALIA sollte diese Veränderung zunächst Stolz und Genugtuung bedeuten. Aber das Schiff schwamm nun auf den gewaltverherrlichenden und kriegerischen Wellen des Faschismus, die Lieder, die an Bord gesungen wurden, handelten von Kampf und Tod und Ehre und sollten sich als ein böses Omen für den Dampfer erweisen. In dem heute in Italien verbotenen Lied „Giovinezza“, eine der Hymnen des Faschismus, das ursprünglich ein nationalistisches, die Jugendzeit verherrlichendes Studentenlied gewesen war, heißt es:
| Giovinezza, giovinezza, primavera di bellezza, nel dolore e nell’ebbrezza il tuo canto esulterà! Col pugnale stretto ai denti attacchiamo con furore alla morte sorridenti pria d’andar al disonor!” | Jugendzeit,Jugendzeit, Frühling der Schönheit, im Schmerz und im Siegestaumel Wird dein Gesang jubelnd erklingen! Mit dem Dolch zwischen den Zähnen greifen wir voller Wut an den Tod anlächelnd eher als die Ehre zu verlieren!(1) |
Der so verherrlichte Krieg erreichte den Gardasee spät und nie in der Härte, mit der er in anderen Teilen des Landes zuschlug. Obwohl die Regierungsgebäude der faschistischen Republik von Salò und die ihrer deutschen Befehlsgeber bekannt und aus der Luft leicht auszumachen waren, sind sie mit Ausnahme der deutschen Botschaft in Maderno-Toscolano nie bombardiert worden – glücklicherweise, denn die Villen Mussolinis und seiner Minister, die Villen der deutschen Generäle und ihrer Dienststellen lagen mitten in den Ortschaften am See, die bei einem Angriff zerstört worden wären.
Wurden die Dörfer und die faschistischen Befehlshaber auch verschont – die Schiffe der Gardaseeflotte mussten Angriffe alliierter Jagdflieger über sich ergehen lassen. 1944 wurde der Schiffsverkehr in Folge dessen eingestellt. Die ITALIA lag im Hafen von Sirmione, requiriert von der deutschen Wehrmacht, die das Schiff in ein Lazarettschiff umfunktioniert und die Aufbauten mit einem großen, gut sichtbaren Symbol des Roten Kreuzes versehen hatten. Zwar wurde bereits das Grand Hotel Fasano in Gardone als Lazarett genutzt, aber die letzten Kriegsmonate forderten immer mehr Opfer, die versorgt werden mussten.
Geholfen hat die Kennzeichnung der ITALIA leider nicht. Auf die Genfer Konvention wurde allenthalben gepfiffen, auch in den Kanzeln der alliierten Tiefflieger. Am 12.1.1945 wurde sie um 10:40 von 4 Jagdbombern entdeckt und beschossen. Es starb der Matrose Guerrino Ceccon, andere wurden verwundet. Ein Feuer brach aus, aber das Schiff schwamm noch. Als es sechs Tage später erneut angegriffen wurde, gelang es zwar, die Leinen zu kappen und das Lazarett aus dem Hafen zu steuer um zu verhindern, dass die nahegelegenen Häuser bei dem Angriff mit beschädigt würden. Aber die Italia war nicht zu retten, sie ging in Flammen auf und versank unweit des Ufers. Lediglich einige Aufbauten ragten noch aus dem Wasser.
Nicht ohne symbolischen Hinweis auf das Schicksal des Landes, dessen Namen er trägt, zeigt sich also die Geschichte unseres Raddampfers. Für Lustreisen auf einem der schönsten Alpenseen gebaut und genutzt, wurde er im faschistischen Krieg verwundet, zerstört, versenkt – aber nicht aufgegeben. 1949 wurde er geborgen und bis 1951 restauriert, 1976 wurde er erneut umgebaut. Noch immer dampft er durch die blauen Wellen des Sees als sei die Zeit 1909 stehen geblieben, als würde er nicht eine bunte, globalisierte Touristenschar transportieren, sondern den Dichter und Kriegshelden Gabriele d’Annunzio, der in Gardone residierte. Oder H.D. Lawrence und seine Frieda von Richthofen, die sich 1912/13 in Gargnano niederließen, einer Gegend, die Lawrence ganz unbescheiden als „Paradies“ bezeichnete.
(1) Auszug aus einer der vielen Versionen von “Giovinezza”, der inoffiziellen Hymne des Faschismus, an deren Übersetzung ich mich gewagt habe.


