Landsknechte in Cecino

Wenn das deutsche Wort „Landsknechte“ Einzug in die italienische Sprache gefunden hat und zu dem knarrigen Ausdruck „Lanzichenecchi“ (sprich: Lanzikencki) geworden ist, dann darf man mit Sicherheit annehmen, dass dem keine positive Erfahrung zugrunde liegt. In der Tat, der Raubzug deutscher Landsknechte im Jahr 1526 durch Italien und die Plünderung Roms gehören zu den Albträumen des italienischen Volkes. Sie haben dazu beigetragen, dass viele Italiener ein tiefes Misstrauen und immer wieder auch ein Gefühl der Unterlegenheit gegenüber der großen Macht nördlich der Alpen empfinden, von der sie sich gedemütigt fühlen. Denn die Barbarenüberfälle zur Zeit der römischen Könige, die Kriegszüge deutscher Kaiser nach Süden und die Besetzung Italiens durch deutsche Truppen am Ende des Zweiten Weltkrieges haben immer Krieg und Zerstörung aus dem Norden in den Süden gebracht. Der Landsknechtszug hatte zudem eine religiöse Komponente, die noch 500 Jahre später sogar in unserem kleinen, beschaulichen Cecino, das für kurze Zeit Teil hatte an einer großen Tragödie, in der erzählten Geschichte des Dorfes lebendig ist.

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1526, was geschah damals? In Deutschland waren die Bauern, die den Adel herausgefordert hatten, besiegt und getötet worden. In England verliebte sich Heinrich VIII in Anna Boleyn. Ihr Kind sollten sie Elisabeth taufen, Elisabeth I. Vor den Küsten des fernen Peru kreuzten die Schiffe des Conquistadors Pizzaro. Und auf der Mindelburg im Allgäu trat Georg von Frundsberg, der bekannte und berüchtigte Landsknechtsführer, zur neuen protestantischen Religion über.

Frundsberg war schon 53 Jahre alt, ein Haudegen, ein verdienter Stratege, der die Kriegsführung der Landsknechte geordnet und zu einer militärischen Macht geformt hatte. Er soll es gewesen sein, der 1521 auf dem Reichstag zu Worms Martin Luther den berühmten Satz zugeraunt hatte: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang!“

Vier Jahre später hatte sich der unfanatische Protestant Frundsberg auf die Seite des katholischen Kaisers geschlagen und bereitete einen Kriegszug nach Italien vor, nach Rom, gegen Papst Clemens VII, der sich mit den Franzosen und anderen gegen den Kaiser verbündet hatte.

Schon zu Lebzeiten war Frundsberg eine Legende. Es hieß, dass er jedes Pferd im Galopp aufhalten konnte. Nur mit der Hüfte verschob er eine Kartaune, die 2 Tonnen wog. Und einen Mann, der auf dem Boden lag, hob er mit nur einem Finger in die Höhe. „Viel Feind, viel Ehr‘“ war sein Motto, noch heute ein geflügeltes Wort.

Als sich das Gerücht verbreitete, Frundsberg würde einen Zug nach Italien vorbereiten, strömten in kurzer Zeit etwa 11.000 Männer und 3000 Frauen zusammen, die mit ihm ziehen wollten. Die Frauen mussten die Habseligkeiten der Männer tragen und waren als Ehefrauen, Marketenderinnen oder Dirnen von einem Landsknechtsheer nicht wegzudenken. Seine Männer pflegte Frundsberg als „meine Brüder und Söhne“ anzureden, aber wenn der versprochene Sold ausblieb konnten die „Brüder und Söhne“ durchaus unfamiliär werden, wie es Frundsberg auf dem Zug nach Rom erleben sollte.

Von Anfang an war das Geld knapp, um die Söhne und Brüder entlohnen zu können. Frundsberg hatte bereits sein Tafelsilber verscherbelt, die Juwelen seiner Frau –  es waren die Fugger, die ihm schlussendlich aus der Misere halfen und ihm 1000 Gulden zuschossen – und schon war aus einem Feldzug gegen den Papst ein Raubzug geworden, um den Landsknechtsführer aus seinen finanziellen Schwierigkeiten zu befreien. Den Lanzichenechi stand der Sinn ohnehin nur nach Beute, die sie in Rom machen wollten, in der Stadt des Papstes, der Babylonischen Hure. Die Landsknechte, die meist landlose Bauern waren, sympathisierten mit dem neuen Glauben und gierten nach dem Reichtum der Kardinäle.

Am 12. November 1526 brach das Heer in Trient von der Burg Buonconsiglio auf. Es hieß, der Zug sei so lange gewesen, dass es einen ganzen Tag gedauert habe, bis alle Landsknechte eine bestimmte Stelle passiert hätten – einen so großen Haufen hatte sogar ein Mann wie Frundsberg noch nicht kommandiert. Wie sich bald herausstellte war der Weg durch das Etschtal von den Venezianern, die mit dem Papst und den Franzosen verbündet waren, an der Veroneser Klause versperrt. Es ist überliefert, dass Frundsberg, den die Italiener gerne als „Bastardo di Baviera“ bezeichneten, voller Wut ausrief, er wolle mit seinen eigenen Händen den Papst an einem goldenen Galgenstrick aufhängen und mit karmesinroten Seidenbändern die Kardinäle. Es gab nur eine Möglichkeit, den Feldzug fortzusetzen, und die bestand darin, die Kanonen und die Pferde zurückzulassen und eine Passage über die Berge zu finden.

Frundsberg wandte sich nach Westen und erreichte über Vezzano und Tione die Burg Londrone am nördlichen Ende des Idrosees, die sich im Besitz seines Schwagers befand.

Der Weg am Idrosee entlang war jedoch durch die Festung von Anfo (noch heute zu besichtigen, allerdings nach telefonischer Voranmeldung) versperrt, aber Anton von Lodrone, der Schwager, schlug Frundsberg vor, etwas zu tun, was niemand erwartete, und der Obrist stimmt zu. Am 16.11.1526 erteilte er den Befehl, dass sich jedermann mit Proviant für 3 Tage ausstatten sollte, um auf Ziegenpfaden den steilen und gefährlichen Weg übers „bös‘ Gebirg“ nach Süden zu suchen. Es ging zum Joch zwischen dem Monte Cingla und Monte Stino steil hinauf, die immerhin 1460 und 1669 m hoch und nur noch wenige Kilometer von Cecino entfernt sind.

Frundsberg, übergewichtig, war der Anstrengung nicht gewachsen. Sein Freund und Sekretär Adam Reißner schrieb in seiner „Historia Herrn Georgen und Herrn Casparn von Frundsberg“ 1572: „Das Gebirg war so hoch daß einem mußte grauwsen, wenn er in das Thal sahe. Es mußte auch der von Frundsberg hinauff zu Fuß steigen, doch haben etwan die Knecht lange Spieß wie Gelender neben im gehalten. Er hat einem starcken Knecht in das Goller gegriffen, der ihn gezogen, und einer hinder im hat in geschoben, denn er war starck und schwer von Leib.“ Sie erreichten Capovalle, das geplündert und in Brand gesteckt wurde, „das hat der von Frundsberg nit gern gesehen von der armen Leut wegen.“, schrieb Reißner.

In Capovalle teilte sich der Zug. Die einen stiegen über Treviso Bresciano ins Chiesetal hinab und erreichten am 18.11.1526 Sabbio. Die anderen wanden sich direkt nach Süden und marschierten über Eno nach Cecino. Reißner erwähnt die Marschvariante Degagna gar nicht, aber aus Berichten, die örtliche Kommandeure an ihre Vorgesetzten in Salò und Verona schickten, wissen wir mit Sicherheit, dass ein Teil des Heeres durch das Degagnatal nach Vobarno marschierte. Da es zur damaligen Zeit die heutige Straße nicht gab, die am Fluß entlang führt, müssen die Landsknechte Cecino und natürlich auch den Torre passiert haben.

Ein unerwartetes Hindernis stellte sich Frundsberg in den Weg, als seine Haufen durch das Tal der Chiese zur Poebene ziehen wollten: Venezianische Soldaten hatten einen engen Durchgang bei Roè versperrt, der Corona genannt wurde. Heute befinden sich dort ein Tunnel und eine Pizzeria. Frundsberg umging das Hindernis und erreichte die Poebene, wo ihm das Geld ausging. Die Landsknechte umringten ihn, gar nicht brüderlich gesinnt, richteten ihre Lanzen auf ihn und brüllten: „Geld, Geld!“ Frundsberg erlitt einen Schlaganfall, die Eroberung und Plünderung Roms hat er nicht erlebt. Er wurde auf seine Burg in Mindelheim gebracht, wo er am 20.8.1528 starb. Mag sein, dass er sich in seinen letzten Tagen von seinem kriegerischen Leben distanziert hat, denn: „Drei Dinge“, so sein Lebensresümee, „sollten jedermann vom Krieg abschrecken: die Verderbung und Unterdrückung der armen, unschuldigen Leute, das unordentliche und sträfliche Leben der Kriegsknechte und die Undankbarkeit der Fürsten.“

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Don Galli, in den 50er und 60er Jahren Pfarrer in Degagna, thematisierte die religiöse Komponente dieses unrühmlichen Beutezugs ins Herz des katholischen Christentums in einer undatierten Broschüre und schrieb über Frundsberg: „Diesen „Herren“ kennen auch wir – leider – durch die schmerzvollen Ereignisse dieser Epoche, wie sie uns von sicheren historischen Quellen überliefert wurden, die an seine traurigen und ruchlosen Taten erinnern…Die Deutschen brannten einen guten Teil Vobarnos und der Umgebung nieder und plünderten es aus, verwüsteten Kirche und Gemeindeverwaltung…So wurden die archivierten Dokumente, die aus der Zeit vor dieser Epoche stammten, von der fanatischen Raserei dieser Barbaren zerstört, die ihre aufrührerische protestantische Tollwut an heiligen Gegenständen ausließen und Dörfer, Länder und Städte plünderten…Die traurige Erinnerung an diese vandalischen Taten wurde bis in unsere Tage überliefert, und es ist nicht auszuschließen, dass die Tragödie jener Zeit und die vorausgegangenen und die folgenden die Seele unserer lombardischen Bevölkerung – besonders die der Grenzbewohner – so tiefgreifend mit diesen traditionellen Formen der ethnischen und rassistischen Intoleranz, wenn auch gemildert durch christliches Mitgefühl,  beeinflusst haben könnten.“

Ob diese wenig schmeichelhafte Charakterisierung des Pfarrers heute noch seine Richtigkeit hat mag jeder selbst entscheiden, der ein paar Tage im Torre di Guardia verbringt und mit den Dorfbewohnern in Kontakt kommt.

Leute mit Phantasie mögen sich auf den Balkon des Ferienhauses stellen und ins Tal schauen oder in die engen Gassen und sich vorstellen, wie das gewesen sein mag, als vor fast 500 Jahren einige tausend Landsknechte durch Degagna gezogen sind.

Inspirierend ist auch bei diesem Thema Don Galli, der Pfarrer. Er schreibt: „Man spricht noch heute über den Brauch, Schätze zu vergraben oder zu verstecken. Eine Überlieferung, die immer wieder untermauert wird und mehr ist als die übliche Phantasterei des Völkchens, da es durch einige Fälle von Funden dieser Art bestätigt wird – wie es vor einiger Zeit in Capovalle und Degagna geschehen ist…In Degagna spricht man noch heute von goldenen Gegenständen, die in dieser wilden Zeit an einer bestimmten Stelle im Tal versteckt worden sind.“

Wir wünschen unseren Gästen viel Erfolg bei der Suche!

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